Geschichten (nicht nur) für Kinder

Ostern / April 2014

Steinäckerchen

Das Steinäckerchen ist ein unfruchtbares Stück Land mit einer schwierigen Vergangenheit: Infolge von menschlicher Misswirtschaft mit Gifteinsatz und Ausbeutung konnte die Blütenfee dort ihr segensreiches Wirken nicht mehr verrichten und hat sich davon zurückgezogen. Aus Gram und Verbitterung darüber ist Hörnchen, der Hüter des Stückchens Land, verhärtet und treibt dort nun zusammen mit dämonenähnlichen Unholden und Störenfrieden wie Knackern, Knallern und dem verstauben „Kellermeister“ sein Unwesen, wobei die Sehnsucht nach wie vor in ihm lebendig ist.

Als in dem verfallenen Häuschen eine Migrantenfamilie einquartiert wird, ist zunächst Hörnchens Sinnen und Trachten darauf gerichtet, die Menschen möglichst schnell wieder zu vertreiben.

Doch diese Familie ist naturverbunden und gewinnt durch seine Art zu denken und zu leben Hörnchens Zuneigung. Besonders zu deren kleinem Mädchen (von Hörnchen insgeheim „Elfenkind“ genannt), das gleich Freundschaft mit dem alten unfruchtbaren Apfelbaum geschlossen hat, fühlt er sich fast eher wider Willen hingezogen. Und damit beginnt durch die Kraft der Liebe eine umfassende Verwandlung, in deren Verlauf Hörnchen seinen Gram über die Menschen und damit seine Verhärtung überwindet, das Land aufblüht, aber auch die Familie gesundet und das gewohnte unstete Wanderleben aufgeben kann, weil durch Liebe und Verbundenheit zum ehemaligen Steinäckerchen dieses zu ihrem „Paradiesgärtchen“ geworden ist:

(…) Das Wunder vom Steinäckerchen wurde bekannt und zog die Schaulustigen von überall her an. Den Bewohnern des kleinen Hauses brachte das Unruhe, dem Hotel aber Kunden. Der Besitzer wollte dafür sorgen, dass die Leute vom Steinäckerchen auch etwas spürten vom Gewinn. Sie sollten gewiss nicht zu kurz kommen. Aber von Geschäften wollte der Vater nichts wissen. Er könne arbeiten, meinte er, und Gemüse und Blumen verkaufen. Aber Wunder sollte man nicht vermarkten. Er sei dankbar, wenn er mit seiner Familie weiter hier wohnen dürfe. „Wie erklären Sie sich denn, was hier geschehen ist?“ fragte der Hotelbesitzer. Der Vater schwieg, aber die Mutter antwortete: „Gute Naturgeister helfen uns unsichtbar. Wir sprechen mit den Pflanzen und lassen Dinge, die für andere leblos sind, unsere Liebe spüren.“ „Ich glaube“, rief das Elfenkind, „ich habe hier Elfen gesehen oder doch wenigsten gespürt wie kleine Lichter in meinem Herzen.“ Kopfschüttelnd verließ der Hotelbesitzer die drei merkwürdigen Käuze. Hörnchen aber meinte wieder, vor lauter Freude müsse es zerplatzen oder vergehen.

An einem schönen Sonntag hatten viele Schaulustige das Steinäckerchen besucht. Die kleine Familie war erschöpft von vielen Fragen der Besucher. Erst am Abend wurde es wieder ruhig. „Kommt mit zum Apfelbaum, der Sonnenuntergang wird schön“, bat Elfenkind. Gern begleiteten die Eltern ihr Töchterchen. Der Abendfriede tat allen wohl. Unsichtbar war natürlich auch Hörnchen da und der Kellermeister. Ein heiliges Geschehen war für Menschen und Gnomen das Erlebnis des Sonnenuntergangs. Als es dunkel geworden war, sagte die Mutter: „Es ist schön, hier zu wohnen. Und doch meine ich, wir sollten weiterwandern. Hier kommen wir nicht mehr zur Ruhe.“ „Ja, wenn du kräftig genug bist, wandern wir“, erwiderte der Vater. Aber Elfenkind war nicht einverstanden. „Wir müssen warten“, erklärte es, „der Baum hat mir für nächstes Jahr Äpfel versprochen. Seine Blätter haben es geflüstert. Der Baum und ich sind Freunde. Wir verstehen uns gut und können einander einfach nicht verlassen.“ „Jetzt muss es sein, Kampfhorn hin oder her“, dachte Hörnchen. „Wenn ich es jetzt nicht tue, gehen sie.“ Es überwand seine Scham, näherte sich den Menschen, hob seine Grenze zwischen sich und ihnen auf und wurde sichtbar. Verlegen trippelte es von einem Bein auf das andere und murmelte vor sich hin: „Es ist mir unangenehm, wirklich sehr unangenehm.“ „Was ist dir unangenehm? Stören wir deine Ruhe?“ fragte die Mutter freundlich. „Wir werden bald weiterwandern, und dann hast du dein Reich für dich. Aber danken wollen wir dir jetzt für alle Hilfe.“ Hörnchen trippelte immer aufgeregter von einem Bein auf‘s andere und murmelte: „Es ist mir unangenehm, wirklich unangenehm. Ich meine mein Horn. Man zeigt so etwas nicht gern.“ „Du bist doch ein netter Kerl, mit oder ohne Horn“, tröstete der Vater. „Lass dich nur sehen, so oft du magst, es freut uns.“ „Ich hätte es nicht getan. Es ist mir unangenehm, wirklich sehr unangenehm“, murmelte Hörnchen. „Aber ich muss verhüten, dass ihr wegzieht. Das Paradiesgärtchen wird ohne euch wieder ein Steinäckerchen.“ „Ihr habt doch alles wachsen lassen, wir Menschen können das nicht“, meinte Elfenkind. „Ja, wachsen lassen als Antwort auf eure Liebe“, meinte Hörnchen. „Du bist noch klein, Elfenkind, aber du musst es doch schon jetzt erfahren. Es ist mir unangenehm, wirklich sehr unangenehm. Mein Horn ist ein Kampfhorn, spitzig und hart. Früher war es zart und hell wie ein Licht. Ich sah damit das Gute auf der Erde und die helfenden Kräfte im Himmel. Es hat sich verwandelt, weil ich zu den Gnomen gehörte, die nicht mehr mit den Menschen arbeiten und nicht mehr dem Leben dienen wollen. Ich habe das Steinäckerchen verwünscht. Es sollte unfruchtbar werden. Da seid ihr gekommen, Menschen, die ich lieben kann. Denn ihr habt selber Liebe gebracht und Wärme und Schmetterlinge. Weil ihr da seid, kann ich den Vernichtungskrieg gegen die Menschen und das Leben nicht mehr wollen. Viele wollen ihn, aber hier könnte Friede sein zwischen euch und uns. Mein Kampfhorn wird wieder ein kleines Licht, etwas wie ein Auge, das die guten Kräfte sieht. Und die Blütenfee kommt zurück. Wenn ihr geht, wenn ihr nur euren Weg seht, – ach! Ich kann nicht weitersprechen.“ – „Ich wollte wandern“, sagte die Mutter, „weil ich wissen muss, wo der Regenbogen die Erde berührt.“ „Den Ort musst du nicht suchen, ich kenne ihn, seitdem ihr hier wohnt“, sagte Hörnchen. „Du kannst ihn nur spüren, nicht sehen. Weißt du denn nicht, dass der Regenbogen die Erde überall da berührt, wo Liebe ist? Erlebst du seine Berührung nicht im Herzen deines Kindes?“ Weiter sprach Hörnchen nicht, denn es hörte die Blütenfee im Apfelbaum flüstern: „Du hast viel gelernt. Das Geheimnis meiner Blumen reift in dir. Wenn dieser Baum nächstes Jahr sein Blütenfest feiert, kann ich die Grenze zwischen dir und mir aufheben und muss nicht länger unsichtbar um dich sein.“ Die Menschen vernahmen nichts von den Worten der Blütenfee. Aber sie empfanden, wie stark alle Blumen dufteten. „Jetzt muss ich nicht mehr wandern“, sagte die Mutter, „mein Ziel und meine neue Aufgabe habe ich hier gefunden.“ „Die schönsten Blumen kann ich nur an diesem Ort malen, sagte der Vater. „Da wollen wir wohnen und die vielen Fragen der Besucher beantworten, so gut wir es vermögen. Mit Geduld und Liebe gewinnen wir vielleicht hie und da einen Freund für die Naturgeister, die mit uns zusammen arbeiten und dem Leben dienen wollen. So arbeiten wir mit am Frieden zwischen Menschen und Gnomen.“ – „Großartig, großartig“, schrie der Kellermeister und verneigte sich. Gern hätte er sich auch gezeigt, aber er konnte die Grenze zwischen sich und den Menschen nicht aufheben. Noch war die Kraft dazu nicht gereift in ihm. Nur wie ein Schatten, der sich bewegte, kam er dem kleinen Mädchen und seinen Eltern vor. Im morschen Balken am Steinackerhäuschen knackte es laut, als wolle jemand sagen. „Ich bin auch da und freue mich mit.“ Und plötzlich jubelte das Elfenkind: „Mein Pate, der rote Stern. So deutlich habe ich ihn noch nie gesehen. Er zwinkert mir zu, sicher wird er immer über uns stehen und uns helfen.“

(Aus: Ursula Burkhard, Steinäckerchen. Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen, 2. Auflage, 1990, S. 36ff. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages)

 

Die Feder

Gern hätte sich Schnips ein wenig ausgeruht (…). So ging er eben ein wenig spazieren. (…) Wie er so ging, fand er unter einem Baum eine Vogelfeder. „Schaut einmal dieses Erdmännlein“, kicherte eine Elfe aus einer blauen Blume, „schaut einmal dieses Erdmännlein, es will sich Flügel wachsen lassen auf seinem Rücken.“ Und gleich war Schnips umringt von vielen Elfen. Alle lachten: Fliegen will der Zwerg, fliegen!“ „Unsinn“, schimpfte Schnips, „ihr einfältigen Luftschwärmer! Nicht das kleinst bisschen Verstand habt ihr.“ Und er schlug so heftig um sich mit seiner Feder, dass alle Elfen erschraken und wegflogen.

Eigentlich wäre Schnips auch gern geflogen. Immer wünschte er sich Flügel, wenn er Vögel sah oder Käfer. Aber das wollte er nicht zugeben.

„Kommt, wir spielen“, riefen die Elfen. Sie schwebten zu ihrem Tanzplatz. Dort haschten sie nach Sonnenstrahlen. Daraus woben sie feine Goldbänder. Und nun tanzten sie ihren Reigen und warfen sich die leuchtenden Bänder zu. Das sah sehr hübsch aus. Schnips gefiel dieser Sonnentanz. Und doch ärgerte er sich, weil die Elfen sich lustig gemacht hatten über ihm. Ein wenig bestrafen musste er sie dafür. (…) Er packte seine Feder und warf sie nach den Elfen. Schwups flog sie, flog und flog und fiel gerade auf das zarte Sonnenband. So zart war dieser Band, dass es zerriss. Der schöne Sonnentanz war zu Ende. Schnips hatte das nicht gewollt. Es tat ihm richtig leid. „Tollpatsch“, schimpften die Elfen. Schnips wollte sagen, wie leid es ihm tue, aber es kam einfach nicht heraus. Er hatte ja wirklich die Elfen nur ein wenig necken wollen.

(Aus: Ursula Burkhard, Schnips. Ein Zwerglein macht Dummheiten. Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen, 1987. Mit freundlicher Genehmigung des Verlages.)

 


Epic – Verborgenes Königreich

Zunächst einmal, auf die Goldwaage wird man Filme made in Hollywood wohl nicht legen dürfen, denn ohne Action oder Kitsch (oder beides) kommen die einfachen Strickmuster solcher Massenware ja offenbar leider nicht aus. Und somit wäre es von vornherein unrealistisch gewesen, in so einem Hollywood-Epos die im Reich der Naturwesen waltende „Tiefe, das Schöne, das Hoheitsvolle, das Stille, das unfassbar zauberhafte ohne jeglichen Kitsch und die Liebe“, wie das die „Elfenwirken“-Leserin und Schreiberin des jüngsten Leser(innen)briefes so schön und völlig zurecht formuliert hat, wiederfinden zu wollen. Auch muss ich vorausschicken, dass meiner Überzeugung nach Kinder, die noch nicht zumindest das 9. Lebensjahr vollendet haben, aus physiologischen Gründen mit derart grellen Bildern und aufwühlend geschnittenen, dabei völlig übertriebenen und der Realität nicht entsprechenden, auch Gewalt verharmlosenden Actionszenen überfordert sind und damit eigentlich nicht konfrontiert werden dürften! Meine eigenen Kinder haben das bis zu einem gewissen Alter auch von sich aus stets abgelehnt, aber manche Kinder sind ja heute schon richtiggehend süchtig nach derartiger Reizüberflutung, die meiner Erfahrung als Lehrer nach aber nie ohne nachteilige Folgen für das Kind bleibt.

Doch weil dieser Film bereits in der Vorankündigung mit „Elfen“ und „Naturwesen“ in Verbindung gebracht wurde, habe ich ihn mir natürlich angesehen. Mein Eindruck war, dass die Macher dieses Films in erster Linie darauf bedacht gewesen sind, alles hineinzupacken, was in anderen Filmen gut angekommen ist: eine 3D-Märchenlandschaft, die an „Avatar“ erinnert, die „Bösen“ haben deutliche Anleihen bei den „Orks“ aus „Herr der Ringe“ genommen, sogar unterirdische, haarsträubend riskante Hängebrücken-Konstruktionen sowie Stürze über mehrere Stockwerke derselben wie beim „Kleinen Hobbit“ kommen vor, wilde Verfolgungsjagden durch die Luft auf dem Rücken von Vögeln finde ich mittlerweile auch nicht mehr wirklich neu, wenn auch in 3D immer wieder atemberaubend, und die theoretische Untermauerung, wieso Elfen für uns Menschen unsichtbar sein und trotzdem existieren sollen (weil sie „schneller vibrieren“), schien mir dann doch allzu sehr von Artemis Fowl inspiriert (oder sollte man sagen: abgekupfert?) zu sein, als dass ich sie per se noch zumindest interessant gefunden hätte. Gut, dass wenigstens die Komik in manchen Szenen immerhin so lustig war, dass man darüber doch  ab und zu schmunzeln konnte.

Wenn nun aber der Eindruck entstanden sein sollte, dass ich Elfenfreund hier nur Häme und eine vernichtende Kritik über diesen Kinderfilm ausgießen will, so muss ich doch erwähnen, dass man aus dem Plot an sich durchaus noch mehr hätte herausholen können, was Kindern in ihrem Verständnis der Welt weiterhilft: Den Kampf in einem Ökosystem (Wald) zwischen Produzenten (Leafmen) und Destruenten (Boggans) bildhaft darzustellen und eine Geschichte daraus zu erzählen, finde ich eigentlich eine wirklich gute Idee, für die ich durchaus bereit gewesen wäre, einige Hollywood-Plattheiten in der Umsetzung zu tolerieren. Nur wäre es halt schön gewesen, wenn man bei dabei etwas tiefer gegangen wäre und die Boggans eben nicht nur wie „böse, böse Orks“, dargestellt haätte, deren einziger Lebenszweck die Bosheit an sich zu sein scheint, sondern herausgearbeitet hätte, dass diese durchaus auch ihren Sinn und ihre berechtigte Aufgabe im Ökosystem haben. (Etwa so: Sie sind schädlich, weil es zu viele geworden sind, d.h. weil aus irgendeinem Grund das natürliche Gleichgewicht zwischen Produzenten und Destruenten gestört worden ist.)

Der Elfenfreund


Zoroaster – Zarathustra

Saadi, der spätere Zarathustra, der zu diesem Zeitpunkt noch nichts von seiner späteren Aufgabe weiß, hat sich im Wald verletzt und muss allein in der Natur und mit den darin wirkenden Wesen die Heilung abwarten. Diese Zeit der erzwungenen Ruhe bewirkt in dem Jüngling eine Vertiefung und öffnet ihn für ein ungewöhnliches inneres Erleben:

Die Kleinen kamen täglich und halfen ihm so über die schwere Zeit.

Manchmal erzählten sie ihm auch, was sich im Walde zutrug. Aber es blieb immer noch genug Zeit, in der Seele still werden und sich in Heiliges versenken konnte.

Eines Nachts wurde ihm abermals ein Bild gezeigt.

Er sah einen unendlich weiten, großen Raum. Licht und hell war er, obwohl er keine Fensteröffnungen zu haben schien. Alles Licht schien von oben hereinzufallen.

In strahlenden Bündeln senkte es sich in ein rotgoldenes Gefäß, in dem es zu brodeln begann.

Jeden Augenblick erwartete Saadi, das Gefäß, das bis zum Rande gefüllt schien, werde überlaufen. Aber das geschah nicht. Ringsum begann ein Tönen und Klingen. Dann verschwand das Bild.

Aber es kam wieder, Nacht um Nacht. Immer deutlicher und strahlender zeigte es sich, bis es einmal am Tage erschien. Feierliche Stille herrschte ringsum, es war, als dürfe die ganze Natur mitschauen.

Oben, ganz oben tat sich der weite, lichterfüllte Raum auf, in den immer neue Lichtfluten hereinbrachen.

Die Schale strahlte wie nie zuvor. Lichte Gestalten schienen sie zu umgeben. (…) Da strömte es herab.

Gewaltige Kraft erfüllte den Schauenden. Er konnte die Augen nicht abwenden, trotzdem der Glanz ihn blendete. (…)

Langsam erlosch das Bild. Der Himmel schloss sich wieder zu ungetrübter Bläue. Aber die Kraft, die ihm geschenkt worden, war bei ihm geblieben. Sie belebte ihn. Er richtete sich auf.

Es ging! Er wollte aufstehen; aber es war nichts da, woran er sich halten konnte. Er musste warten, bis die Kleinen kamen. Warten hatte er nun gelernt. Es fiel ihm nicht mehr schwer.

Da kamen sie schon herangetrippelt. Wie verjüngt sahen sie aus! „Was ist euch geschehen!“ rief Saadi ihnen entgegen.

„Das gleiche wie dir“, lautete die rasche Antwort. „Wir haben alle von der Kraft empfangen  dürfen, die einmal im Jahr auf die ganze Schöpfung herabströmt. Das ist ein hoher Feiertag auf Erden, den ihr Menschen aber schon vergessen habt.

Wir alle, die Tiere und Pflanzen wissen davon und nehmen die Kraft bewusst in uns auf. Euch anderen wird sie auch geschenkt. Aber Ihr merkt es kaum, und wenn Ihr merkt, dass etwas Euch gestärkt hat, so denkt Ihr nicht darüber nach, woher Euch dies kommt.“

(Aus: Zoroaster. Leben und Wirken des Wegbereiters in Iran. Verlag Maria Bernhardt, Vomperberg, Tirol, 1957, S. 67ff.)

 

 

Der Wolf im Märchen

Mit Zoologie hat er nichts zu tun. Er ist eher verwandt mit dem Fenriswolf, von dem die germanischen Göttersagen berichten. Wenn dieses Ungeheuer seinen Rachen aufsperrt, berührt der Unterkiefer die Erde und der Oberkiefer den Himmel. Der Fenriswolf würde seinen Rachen noch weiter aufreißen, wenn genug Raum dafür wäre. Wenn die Welt untergeht, wird ein Wolf aus seinem Rudel die Sonne verschlingen, ein anderer den Mond. Durch diese Wölfe kommt die Finsternis über die Erde. Sie sind die lebensverneinende, alles verdunkelnde und verschlingende Macht.

Kleine Kinder fühlen sich oft bedroht von dem, was in ihrer Umwelt geschieht und nicht verstandesmäßig erfasst werden kann. Ihr Wortschatz ist viel zu klein, um ihre reichen inneren Erlebnisse auszudrücken. Das kann zu Spannungen führen. Unausgesprochene, nicht durchschaubare Erlebnisse können zu inneren Bildern werden, wie der Erwachsene sie kennt aus Träumen. Manchmal nehmen Kinderängste die Gestalt eines grimmigen Wolfes an. Wenn ein Kind nicht schlafen kann, weil ein großes, böses Tier in seinem Zimmer ist, sollten Erwachsene das ernst nehmen. Natürlich verschwindet der Wolf aus dem Kinderzimmer, sobald jemand ein Licht anzündet. Denn der Märchenwolf ist wie sein Vorfahre, der Fenriswolf, ein Geschöpf der Finsternis. Oft ist er Bild für Verlassenheitsgefühle des Kindes, oder er verkörpert die Dunkelheit der Nacht. Er ist also ein Gegensatz zum hellen, freundlichen Tag. Als lebensverneinendes, alles verschlingendes Geschöpf ist er aber auch ein Gegensatz zu den Eltern oder Betreuern, die Leben und Geborgenheit ermöglichen. Wer dem reißenden Wolf begegnet, wird gefressen, nicht liebevoll ernährt. (…)

Bei einem Elternabend haben wir erfahren, dass auch ein Vater, der selber nicht Jäger ist, ein Untier überwältigen kann. Jede Nacht trieb ein Wolf im Kinderzimmer sein Unwesen. Da kam einmal der Vater herein, der kroch ohne ein Licht anzuzünden unter das Bett, wo der Wolf sich zu verstecken pflegte. Mit großer Mühe holte er ihn hervor, es gelang erst nach hartem Ringen, und dann warf er ihn zum Fenster hinaus. Fenster und Läden wurden fest verschlossen. Der Mut des Vaters beeindruckte den Wolf. Er kam nicht mehr, und die ganze Familie genoss die ungestörte Nachtruhe.

Wenn wir einem Kind Geschichten erzählen wie „Rotkäppchen“ oder „Der Wolf und die sieben Geißlein“, erlebt es zuhörend, dass Wölfe überwunden werden können, und mit den Untieren, seinen eigenen, Gestalt gewordenen Ängsten, überwindet es auch allmählich diese Ängste. Ein Angstbild kann nur bildhaft überwunden oder verwandelt werden, nicht durch vernünftiges oder gar intellektuelles Zureden. Wichtig ist, dass wir bewusst und überzeugt auf das gute Ende hin erzählen. Vielleicht ist uns das nicht einfach gegeben. Vielleicht müssen wir uns erst durch Arbeit an uns selber dazu erziehen, das Positive in unserem Leben, in unserer Zeit und in der menschlichen Entwicklung zu sehen. Das ist eine schwere Aufgabe. In unserer Umgebung wird überall viel Kritik geübt, und wir übernehmen leicht die negative Einstellung vieler Mitmenschen. Aber nur wenn wir an den guten Ausgang glauben, können wir auch auf das gute Ende hin erzählen. So lernt das Kind im Märchen die Macht des Bösen kennen, und zugleich erfährt es von der Möglichkeit der Erlösung. Das Märchen spricht nicht von einer heilen Welt, sondern von heilenden Kräften in einer noch unheilen Welt.

(Aus: Ursula Burkhard, Das Märchen und die Bilderwelt des Kindes. Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen, 1988)

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Frau Holle – Interpretation vom Elfenfreund

Frau Holle ist eine hohe Wesenheit, die eine für die Menschen besonders wichtige Aufgabe erfüllt: Sie teilt den ungeborenen Menschenkindern gesetzmäßig ihr Schicksal auf Erden zu. Das eine lässt sie in eine reiche Familie geboren werden, dem anderen legt sie Armut in die Wiege. Sie gibt jedem Kind die Eltern und die Verhältnisse mit auf den Lebensweg, die für seinen jeweiligen Lern- und Entwicklungsprozess auf Erden notwendig sind. Durch ihre Schicksals-Zuteilung wird das eine Mädchen zur Goldmarie, das andere zur Pechmarie.

Der Name „Frau Holle“ bedeutet „die Huldvolle“. Welche Gottheit einst hinter diesem Attribut stand, darüber sind sich die Forscher nicht ganz einig. Es dürfte sich jedenfalls um eine sehr alte und sehr hochangesehene Wesenheit gehandelt haben, sei es nun eine große Muttergöttin der Jungsteinzeit, eine uralte weibliche Erdgottheit oder die germanische Göttin Frigg selbst, die so angesprochen wurde. Auch die germanische Totengöttin Hel wird mit dem Namen in Verbindung gebracht. (Quelle: Wikipedia, Stichwort: Frau Holle)

Der Hollerbusch erhielt seinen Namen, weil seine Blüten und Früchte gleichnishaft zeigen, was Frau Holle für die Menschen reifen lässt: duftende, goldene Taler-Sterne (oder sind es Sternen-Taler?) für die einen und klebrigen, schwarzen, ungekocht sogar leicht giftigen pechartigen Saft für die anderen.

Das Märchen „Frau Holle“ ist ein durchaus moralisches Lehrstück, das Menschen der vorchristlichen Zeit bemerkenswerte Einblicke hinter die Kulissen des alltäglichen Lebens gestattet. Einander gegenübergestellt werden darin zwei Menschen gegensätzlichen Charakters, der eine “schön und fleißig”, also ein guter Mensch, der andere “hässlich und faul”, ein Mensch mit vielen Fehlern und Schwächen. Die Worte “schön” und “hässlich” stehen hier nicht für das Äußere des Körpers, sondern symbolisieren die Beschaffenheit der Seele. – Wer mag dieses sprachliche Juwel empfangen und zum „Märchen“ geformt haben und wann mag das gewesen sein? Es muss eine wahrhaft weise Person gewesen sein – vielleicht eine Priesterin, eine Schamanin? – die über beachtliches Wissen vom Wirken des Schicksals in der Schöpfung besessen hat. Aufgeschrieben wurde das Märchen bekanntlich von den Gebrüdern Grimm vor ca. 200 Jahren, aber seine mündliche Tradition geht viel weiter zurück und die Figur der „Frau Holle“ lässt sich unter verschiedenen Bezeichnungen bis in die Jungsteinzeit zurückverfolgen. –

Nun aber die eigentliche Interpretation:

„Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleissig, und die andere hässlich und faul. Sie hatte aber die hässliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere musste alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause sein.“

Goldmarie und Pechmarie sind Halbschwestern, sie haben den selben Vater, der aber verstorben ist. Das erinnert mich an den Ausruf „Gott ist tot!“; die Welt, besser gesagt die menschliche Gesellschaft, hat sich überwiegend von Gott abgewendet und geht ihre eigenen Wege. Goldmaries Mutter, die ihr als „seelenverwandt“ die Schönheit vererbt hat, war seine erste Frau. Wie gesagt, Schönheit meint im Märchen nicht nur die Beschaffenehit des Körpers, sondern steht für Anmut als seelische Eigenschaft und Tugend. Goldmarie und ihre Mutter erinnern an eine Zeit, als die Menschheit noch nicht so tief in Irrtum und Fehler verstrickt war.

Nach dem Tod seiner ersten Frau nahm der Vater als zweite Frau Goldmaries Stiefmutter, die aber ihr ihr leibliches Kind, obwohl es faul und hässlich ist, der Goldmarie vorzieht. Diese „Witwe“, Goldmaries böse Stiefmutter, steht für die Welt, durchaus im Sinne der mitterlalterlichen „Frau Welt“, der Personifikation weltlicher Sinnenfreude und weltlichen Glückes. Am Wormser Dom ist sie dargestellt: Sie erscheint von vorn als schöne betörende Frau, ihr Rücken aber ist voller Eiter und grässlichem Ungeziefer. Man könnte auch sagen: Sie ist die Eitelkeit in Person, denn sie baut auf den äußeren Schein und nicht auf das wahre Sein. Sie ist es, die der „Pechmarie“ den Rat gibt, sich absichtlich zu stechen und die Spindel in den Brunnen zu werfen. Es ist klar, dass ein idealstrebender Mensch wie Goldmarie es in so einer „Welt“ nicht leicht hat, dort vor allem Unverständnis findet und angefeindet wird.

Die Spindel, die Goldmarie so oft mit Blut und Tränen netzte, symbolisiert den Lebensfaden. Als Goldmaries schweres Erdenleben endet, in dem sie durch schlechte Menschen ungerecht vieles erleiden musste („Blut und Tränen“), gelangt sie durch den “tiefen Brunnen” (heutige Sterbeforscher sprechen vom “Tunnelerlebnis”) in die Anderswelt, das Jenseits. Es ist das Reich der Frau Holle, ein Reich unter der Erde und doch im Himmel, über den Wolken.

Auch dort ist „der gute Mensch“, Goldmarie, fleißig und tugendvoll und hat im Reich der Frau Holle „ein gut Leben, kein böses Wort und alle Tage Gesottenes und Gebratenes“ – was wohl im übertragenen Sinne als „Leben ohne existentielle Sorgen“ zu verstehen ist. Trotzdem bekommt er mit der Zeit „Heimweh“: Die Sehnsucht nach einem erneuten Erdenleben stellt sich ein. Frau Holle billigt diese Sehnsucht („es gefällt mir, dass du wieder nach Haus verlangst“), bedeutet sie doch nichts anderes, als dass dieser Mensch  seelisch weiter reifen und sich vervollkommnen will, wozu eben das Leben und Erleben auf Erden und in Fleisch und Blut notwendig sind, auch wenn das für die Seele große Mühen und Entbehrung mit sich bringt.

Doch im neuen Erdenleben trägt das stete gute Wollen dieses Menschen deutlich sichtbar Früchte und bewirkt diesmal einen besseren Start ins Erdenleben als das letzte Mal: Frau Holle führt das Mädchen (=Seele) vor ein großes Tor.

„Das Tor ward aufgetan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so dass es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist“, sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule (=Lebensfaden, ein neues Erdenleben) wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Tor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus; und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief:

„Kikeriki,
Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.“

Da ging es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen.“

Also obwohl die Stiefmutter (man könnte – ganz deutsch gesagt – auch die vom üblen Menschenwollen verbogenen irdischen Verhältnisse in dieser Personifizierung erblicken) den tugendhaften Menschen weniger liebt als ihre „rechte“ (leibliche) Tochter, die fehlerhafte und faule, akzeptiert sie den tugendhaften Menschen nun aufgrund der irdischen Position, in die er zu seinem Schutz diesmal geboren werden konnte.

Nun möchte aber der fehlerhafte Mensch auch das haben, was der tugendhafte durch sein gutes Streben sich erworben hat, er muss es allein schon aus Prestigegründen bekommen, die Mutter (=menschliche Gesellschaft) erwartet es. Doch die Gesetzmäßigkeiten im Jenseits lassen sich sich nicht täuschen; dem lasterhaften Menschen wird der Lohn, den er sich verdient hat, auch wenn es erst ein Erdenleben später sichtbar wird.

Der Elfenfreund

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Ein „Märchen“

Das folgende „Märchen vom Menschen, der die Erde bewohnte“ – eine Geschichte nicht für Kinder! – habe ich Elfenfreund vor annähernd 20 Jahren als junger Lehramtskandidat geschrieben. Ich habe es kürzlich „ausgegraben“ und fand, es könnte vielleicht zum diesmaligen Artikel passen … wenngleich der geneigte Leser merken wird, dass ich damals sehr kulturpessimistisch eingestellt war…:

Es – war – einmal …?

Viele Hunderttausende von Jahren sind vergangen, seit der Mensch die Erde betreten hat. Was nicht alles hat er seither hier erlebt!

Ganz eingebettet war er zunächst in das geheimnisvolle Weben und Wirken der Natur, war ganz Kind der Schöpfung, und sie gab ihm in Fülle, was er zum Leben brauchte.

Der Mensch entwickelte sich und wurde klug. Er lernte die Kraft der Elemente kennen und fürchten, aber auch verstehen und benützen – das Feuer wurde ihm dienstbar.

Die Natur selbst unterwies den Menschen bei der Herstellung verschiedener Geräte zur Erleichterung seines Lebens; auch Tiere lehrte sie ihn zähmen und den Boden bebauen. Kindlich freute er sich an allem Schönen, und es drängte ihn, auch selbst Schönes zu gestalten, die Umgebung zu veredeln; ein unbestimmtes Sehnen nach einem menschenwürdigeren Dasein brachte so frühe Formen von Kunst und Kultur hervor.

Der Mensch wurde immer klüger und geschickter. Immer besser lernte er die Eigenschaften der Natur kennen und nützen: Steine behauen, Stoffe weben und färben, Metalle schmelzen, glühen und schmieden. Er errichtete Städte, Tempel und Paläste, fuhr auf Schiffen über Flüsse und Meere und machte sich allmählich die ganze Erde untertan.

Hochkulturen blühten auf … und versanken wieder in Schutt und Asche: Der Mensch verwendete seine Klugheit nicht nur, um aufzubauen und zu pflegen, sondern auch um Kriege zu führen und zu zerstören. Er wollte herrschen, nicht hüten; nicht empfangen, sondern an sich reißen; die Macht, die ihm zuteil geworden war, hatte ihm das Herz verblendet. Er schwang nicht mehr im Reigen der Geschöpfe Gottes: Getrieben von Eitelkeit, Habsucht, Lüsternheit, Neid und Hass gewöhnte er sich bald daran, sein egoistisches „ICH“ über alles zu stellen, alles Schwächere aber auszubeuten und zu unterdrücken.

Damit entfremdete er sich immer mehr der Natur – denn er war in seinem Herzen unnatürlich geworden. Zwar ernährte sie ihn nach wie vor, seine leibliche Mutter, doch er empfand sie insgeheim jetzt als Feindin, der er auch feindlich gegenübertrat; weil er sich aber nicht mehr kindlich einfügen wollte, konnte sie seine Werke nicht länger fördern, sodass er sich mit der Zeit genötigt sah, ihr sogar sein täglich Brot im Schweiße seines Angesichtes mühsam abzuringen.

Natürlich konnte er so auch nicht mehr wirklich glücklich sein, wie er es war in den Kindestagen seines Seins auf Erden: Unruhe und Unzufriedenheit hatten sich ihm beigeselt und wurden seine ständigen Begleiter. Sie raubten ihm den Frieden und hetzten ihn von Krieg zu Krieg, von Unrecht zu Unrecht und von Leid zu Leid.-

Er aber beharrte auf seinem Recht, bekehrte sich nicht, sondern strengte sich nur noch mehr an, die ganze Welt seinem Willen zu unterwerfen.

Wissen ist Macht, das hatte der Mensch erkannt. Darum strebte er nach Klugheit; und je klüger er wurde, desto stärker machte sich sein Einfluss auf die Erde fühlbar. Der Mensch triumphierte, schien es doch tatsächlich so, als könne er die Welt nach seinen eigensüchtigen Vorstellungen und Wünschen beherrschen. Was aber waren das für Wünsche! Alle seine Mitgeschöpfe schrien auf unter der Last ihrer Maßlosigkeit. Alles riss der Mensch an sich, überall mischt er sich ein, alles wollte er „verbessern“ und umgestalten, nur nicht sich selbst in seiner dünkelhaften Selbstgefäligkeit. Er raffte, rodete und plünderte und zog eine Spur der Verwüstung über die ganze Erde. Der Himmel hüllte sich bereits in schwarze Wolken und weint saure Tränen; die Ausdünstungen der Fabriken verpesteten die Luft, vergifteten den Boden und verseuchten das Wasser. Doch die Menschen ließen noch immer nicht ab von ihrem Tun.

Da traf den Menschen plötzlich unerwartet die Vegeltung: die Natur selbst setzte seinem Treiben Grenzen und zwang ihn so, den Folgen seines Tuns ins Angesicht zu blcken. Seine hässlichen Werke, denen er dadurch nicht mehr entfliehen konnte, blähten sich auf, pressten ihn schmerzhaft gegen diese unerschütterliche Wand und hielten ihm den Spiegel vor, sodass er sich nun gezwungen sah, sich endlich selbst zu erkennen…

 

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Schnips

(…) „Du musst aber immer an mich denken, Vergiss-mein-nicht, auch wenn du groß und gescheit bist“, bat Schnips. Christinchen wurde ganz rot. „Das ist schwer, wenn man größer wird und du nicht da bist“, gab es beschämt zu. „Aber bald blühen Vergiss-mein-nicht am Bach, dann geht es vielleicht leichter“, meinte Schnips. „Und weißt du“, erzählte Christinchen, „bald kann auch Johannes mit uns im Garten spielen. Freust du dich darauf?“ Schnips nickte. Aber dann musste er gehen. Der Zwergenkönig erlaubte nur einen kurzen Besuch. Ganz schnell erzählte er noch: „Wir feiern auch Weihnachten, tief in der Erde drinnen. Alle Wesen feiern, auch Elfen und Nixen. In dieser Nacht kann ich sie alle lieb haben. Leb wohl!“ Und weg war er.

Christinchen löschte das Licht und schlüpfte in sein Bett. Gleich schlief es ein, und es hatte einen schönen Traum. Die Erde wurde ganz durchsichtig und hell. Durch sie und in ihr schien die Sonne. In diesem Licht funkelten Kristalle, von denen Schnips so oft erzählt hatte. Viel größer und schöner waren sie als Papas Kristalle. An diesem Licht in der Erde freuten sich Zwerge und Elfen. Da waren Johannimännlein mit goldenen Käppchen, rote Hüte sah Christinchen von Feuerzwergen und Moosmännlein, blaue Elfenhüte und die grünen von Pflanzenzwergen. Beim Volk der Braunkappen saß Schnips, ganz nahe beim Bachkobold. Freundlich nickte er ihm zu. Darüber verwunderte sich ein Waldteufelchen. Das freute sich so an der hellen Erde, dass es vergaß, sein Züngein zu zeigen.

Als Christinchen am Morgen erwachte, wusste es nicht mehr, was es geträumt hatte. Aber noch fühlte es, dass es etwas Schönes gewesen war. Vielleicht war es etwas von Schnips. Den wollte es fragen, wenn er im Frühling wieder kam.“

(Aus: Ursula Burkhard, Schnips. Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen, 1987)

 

Der Laubfrosch

Er plantschte nicht in einem Bach und hüpfte nicht auf einer Wiese herum. Er fing keine Fliegen und war auch selber nicht in einem Glas gefangen, aber grün war er, und er quakte ein wenig, wenn jemand ihm im Wege stand. Ein kleines grünes Auto war er. Seine Besitzerin fand, er sehe so aus, dass er unbedingt Laubfrosch heißen müsse. Laubfrosch, jawohl, warum eigentlich nicht! Sie selber bekam eigentlich auch nie ihren wirklichen Namen zu hören. Die ganze Familie nannte sie Mieze. Wenn jemand Ruth und Peter fragte, wie es Tante Maria gehe, musste die Kinder sich überlegen, wer gemeint war; ihre Mieze war doch keine Tante Maria.

Den Laubfrosch hatte Mieze ganz unerwartet gekauft. „Wir werden gut zusammenpassen, er und ich“, sagte sie zu ihrem Bruder. „Er bringt mich hinaus ins Freie. Ich brauche das nach der langen Woche im Büro, hie und da begleiten mich die Kinder sicher gern.“ Aber ihr Bruder rümpfte die Nase: „Frauen sollten nie allein ein Auto kaufen. Die grüne Büchse hat schon einiges hinter sich. Ein paar Monate fährt sie vielleicht, dann bleibt der Karren einmal plötzlich stehen, und aus ist‘s mit dem Vergnügen.“ Ruth und Peter waren empört, wie konnte ihr Vater den Laubfrosch so beleidigen. „Vor der ersten großen Ausfahrt gibt es ein richtiges Tauffest für ihn“, beschlossen sie. Was die Kinder sich vorgenommen hatten, konnten sie schon am Sontag ausführen. Das Wetter war strahlend schön. Sie standen früh auf und gingen zu Miezes Wohnung. Einen großen Korb schleppten sie herbei. Mutter hatte Essen bereitgemacht für den ganzen Tag, auch Blumen und Zweige brachten sie mit, denn der Laubfrosch sollte geschmückt werden für sein Fest. Als der Kranz nach einigen Versuchen ziemlich gut befestigt war, streichelte Peter das grüne Auto und sagte feierlich: „Du sollst Laubfrosch heißen, vergiss das nicht! Das ist deine Taufe, mach deine Sache immer gut, gib dir Mühe. Hast du vielleicht auch ein Herz?“ Ruth und Mieze lachten. „Einen Motor hat er, ein Herz hat er sicher nicht.“ „Vielleicht doch“, behauptete Peter. Weil er noch so klein war, glaubten sie ihm nicht. Nach der Taufe musste alles in den Laubfrosch gepackt werden: Der Korb mit Vorräten für den ganzen Tag, zwei zappelige Kinder und natürlich Mieze. Das war ein Kunststück, der Laubfrosch war wirklich nicht groß. „Er hat sich fast zum Platzen vollgegessen“, sagte Peter.

„Wohin geht die Reise?“ fragte Mieze. „Zu unserem Waldplatz“, bettelten die Kinder. Mieze war einverstanden, obwohl die Fahrt dorthin lange dauerte. Die Kinder besuchten diesen Ort oft mit ihren Eltern. Sie spielten gerne dort. Im überfüllten Laubfrosch wurde es aber wirklich eng. Alle freuten sich auf das Ende der Fahrt. Sie kam ihnen länger vor als sonst, obwohl sie den Weg gut kannten. Als sie ihr Ziel erreichten, stiegen sie schnell aus, reckten und streckten sich und atmeten die herrliche Waldluft ein. Dann wurde der Laubfrosch noch einmal bekränzt, denn er hatte unterwegs seinen Schmuck verloren. „Er ist schließlich Hauptperson“, sagte Ruth, „wir feiern ihn heute.“ Und doch vergaßen sie ihn gleich darauf. Es gab hier doch so viel zu tun: Bächlein stauen, Rindenschiffchen schnitzen, Mooshäuser bauen. Nur einmal rannten sie zum Laubfrosch und holten den Esskorb. Man wird hungrig draußen im Wald. Der Laubfrosch freute sich, dass er ruhen durfte nach der langen Fahrt. Bei seinem früheren Herrn war das selten vorgekommen. Der hatte kein Ziel. Ihn interessierte, wie viele Kilometer er an einem Sonntag zurücklegen konnte. Wenn man noch jung ist und kräftig, macht das Spaß. Aber der Laubfrosch war nun doch schon älter; er hatte Ruhepausen nötig.

Wie er so in der schönen Umgebung stand, schien er sich wohl zu fühlen. Es gab noch etwas Besseres als herumzurasen. Auf einem Baum nahe bei ihm saßen Spatzen, die stritten sich. Jeder wollte den anderen überschreien, keiner hörte zu, und vor lauter Eifer hatten sie den Grund ihres Streites vergessen. Als der größte Schreihals  sich ein Weilchen erholen musste von seiner Anstrengung, sah er unter sich den geschmückten Laubfrosch stehen. Ein bekränztes Auto war doch etwas Ungewöhnliches. Neugierig flog er zu ihm hin. „Wo willst du hin, was ist los?“ tschilpten die anderen Spatzen. „Ein Luftverschmutzer“, schrie er, „in unserem Wald, und geschmückt hat man ihn auch noch.“ Im Nu flogen alle um den Laubfrosch herum und beschimpften ihn. „Ein Luftverschmutzer in unserem Wald, du verdirbst uns die Freude am Fliegen, und geschmückt hat man so einen. Wir wollen dich noch schöner verzieren.“ Dabei ließen die Kecksten etwas auf den Laubfrosch fallen, das sah nicht so hübsch aus wie sein Kranz. Da seufzte etwas im Innern des Autos, aber so leise, dass es kaum zu hören war. Nur Hutzli vernahm es, seinen wachen Zwergenohren entging nichts. Er schlüpfte aus seinem Wurzelhaus und verjagte die schreienden Spatzen. „Fort, ihr Federvieh, die Umgebung verschmutzt ihr auch, und es gibt bessere Sänger als solche Schreihälse.“ Hutzli war eine Respektsperson im Wald. Die Spatzen flogen weg und schrieen auf einem anderen Baum weiter, keiner wusste was und warum. Hutzli kletterte auf den Laubfrosch und räumte weg, was die Spatzen fallen gelassen hatten, dabei streichelte er das grüne Ding. Wieder seufzte etwas im Innern, ganz leise nur. „Wer ist da?“, fragte Hutzli, „wer seufzt so traurig?“ Eine Stimme antwortete ihm, aber so undeutlich waren die Laute, er konnte nichts verstehen. „Ich höre dich“, sagte Hutzli, „aber ich weiß nicht, was du mir antwortest, du sprichst zu undeutlich.“ Mühsam presste die Stimme im Innern des Autos ein paar Laute hervor, aber Hutzli konnte sie nicht verstehen. „Streng dich nicht weiter an“, sagte er, „du bist einer, mit dem lange niemand gesprochen hat, darum hast du die Sprache verloren.“ Eine Weile dachte er nach und meinte dann: „Jetzt weiß ich deine Antwort auf meine Frage, du bist einer von den Maschinengnomen. Im Motor bist du eingesperrt und musst darin den Menschen dienen.“ Wieder seufzte etwas im Innern des Autos, diesmal klang es noch trauriger. „Was fehlt ihm?“ fragte eine Elfe uns schlüpfte aus einer Waldblume. Das Seufzen war auch zu ihr gedrungen. Hutzli kletterte vom Autodach und setzte sich zu ihr ins Moos. „Was mit ihm ist, kannst du kaum fassen, denn du bist so zart“, sagte er. „Versuche trotzdem, mir davon zu erzählen,“ bat die Elfe, „auch wenn ich es nicht fassen kann; ich schlüpfe ein wenig in seine Traurigkeit hinein, vielleicht kann ich ihm von meinem Licht geben.“ „Ich will dir erzählen, was ich weiß“, sagte Hutzli, „aber schlüpfe nicht zu tief in seine Traurigkeit hinein, du bist zu fein, er aber lebt in einer harten Welt. Vergiss nicht, dass auch wir dich und dein Licht brauchen.“ „Ich vergesse es nicht“, versprach die Elfe. Da erzählte ihr Hutzli vom Riesen der Kälte und der Finsternis, der die ganze Welt zu Stein und Eis erstarrren lasssen will. Alles Leben soll von ihr weichen. Nur im Leblosen glaubt er sich wohlzufühlen. Die Elfe hatte schon gehört von ihm, doch bei jedem Wort, das Hutzli sprach, bebte sie. Im Innern des grünen Autos stöhnte etwas, ganz leise nur. Hutzli schwieg. „Weiter“, hauchte die Elfe, „es tut weh, aber erzähle weiter.“ „Der Riese der Kälte und Finsternis braucht Helfer“, sagte Hutzli, „allein kann er seinen Plan nicht ausführen. Wesen wie du kann er nicht erreichen, aber an Menschen und Gnomen macht er sich heran. Er hofft auf uns Erdgeister. Wir lieben das Knorrige, Feste und die überklugen Gedanken. Festigkeit und Klugheit schenkt er uns gern, dafür sollen wir ihm dienen. Du weißt, wir waren schon immer Lehrmeister der Menschen. Ihre Gedanken lenkten wir stets so, dass sie von uns Neues lernten über viele Geheimnisse der Natur. Nicht nur Heilkräuter ließen wir sie entdecken, wir zeigten ihnen auch, wie man Butter und Käse macht und sonst noch manches. Das hätten sie ohne uns niemals erfinden können. Auch jetzt lenken wir noch oft die Gedanken der Menschen, aber sie wissen nichts davon. Sie sind stolz auf ihre Klugheit und glauben alles selber auszudenken und zu erfinden. Dass sie von uns nichts mehr wissen, ist das Werk des Riesen der Kälte und der Finsternis. Alle Gnomen, die sich ihm ganz ergeben haben, müssen die Gedanken der Menschen lenken, wie er es haben will. Alle Klugheit, alles Feste und Knorrige, das sie selber bekommen haben, sollen in das Menschendenken einfließen. Die Gedanken werden starr, so wie der Riese der Kälte und der Finsternis die ganze Welt haben möchte. Aus solchen Gedanken werden Maschinen und Autos, vieles, was für die Menschen bequem und auch nützlich ist. Nur müssten sie es selber beherrschen, aber es beherrscht sie, weil sie sich allein für gescheit halten und nur gelten lassen, was sichtbar und greifbar ist. Sie entfremden sich dem Leben und allem, was unsichtbar hinter den Erscheinungen der Natur steht. So kann sich der Riese der Kälte und der Finsternis Menschen und Gnomen zu Sklaven machen.“ „Die Armen“, hauchte die Elfe, und aus dem Innern des grünen Autos seufzte etwas unendlich traurig. Die Maschinengnomen werden gefangen in ihrer eigenen Klugheit, die Menschen leitet und Maschinen möglich macht“, sagte Hutzli, „und so ist es dem ergangen, der im Innern des Autos seufzt, weil er seine Sprache verloren hat.“ „Ich muss zurück in meine Blume, ich habe genug aufgenommen von seiner Traurigkeit“, hauchte die Elfe, „hilf du ihm weiter, du bist kräftiger als ich“, und sie schlüpfte wieder in den Kelch der kleinen Waldblume zurück. Hutzli ging zum Laubfrosch und sprach:“ Du da drinnen gehörst zum Volk der Gnomen und Zwerge, du bist mir verwandt, höre meinen Rat. Wenn du kannst, gehorche einmal der Maschine, die du geschaffen hast und die dich gefangen hält, nicht. So wist du freier von ihr, hast du mich verstanden?“ „Ja-ah“, presste der Gnom im Innern des grünen Autos mühsam hervor. Das war seit langer Zeit sein erstes Wort. Er erschrak darüber und schwieg wieder.

Die Kinder hatte lange am Bächlein gespielt. Mieze war nicht so streng wie die Eltern, das wussten sie. „Nur noch eine Stunde“, bettelten sie, als die Tante zum Aufbruch mahnte, dann „nur noch eine halbe Stunde!, und „nur noch fünf Minuten“, oder „ein bisschen noch, Mieze, ich muss noch etwas fertig machen.“ Endlich drohte Tante Maria: „Ich fahre allein nach Hause, wenn ihr nicht sofort kommt. Ich möchte nicht hier übernachten.“ Die Kinder sahen ein, dass es besser sei, zu gehorchen. Es wurde schon dunkel. Wieder packten sie den Laubfrosch voll: Steine mussten mit nach Hause genommen werden, ein Blumenstrauß für Mama und ein langes Holzstück, das fast nicht hineinpasste, aber das war Peters Schwert und darum sehr wichtig. Zuletzt quetschten sich die drei Menschen auch noch hinein. „Ich hätte ein Auto aus Gummi kaufen sollen“, lachte Mieze, „das könnte sich dehnen, wenn ihr noch mehr mitnehmen wollte; jetzt aber los! Ade du schöner Wald.“ Sie wollte wegfahren, aber der Laubfrosch brummte nur ein wenig und blieb stehen. Sie versuchte es wieder, doch ohne Erfolg. „Laubfrosch“, sagte sie, „du bist doch kein störrischer Esel, komm jetzt, es ist schon recht spät.“ Es gab einen kleinen Ruck, als versuche der Laubfrosch zu hüpfen, dazu brummte er noch einmal kurz und blieb wieder stehen. „Nichts zu machen“, stellt Peter fest, und Ruth fragte ängstlich: „Müssen wir hier im  Wald schlafen, Papa hat doch gesagt, ein paar Monate lang könnten wir mit dem Laubfrosch fahren?“ „Kinder“, sagte Mieze, „wir sind weit weg vom nächsten Haus, und es ist spät, jetzt müssen wir einen Nachtbummel machen, auch wenn wir alle drei müde sind, steigt aus.“ Jetzt gehorchten ihr die Kinder gleich. Ruth schmiegte sich an Mieze, „ist es sehr weit und kommen keine Räuber?“ fragte sie ängstlich. „Ich habe ja ein Schwert“, tröstete Peter, „ich verteidige euch.“ Dann wandte er sich dem Laubfrosch zu und streichelte ihn, „du hast doch ein Herz, gelt, und du bist traurig gewesen, weil wir dich den ganzen Tag vergessen haben. Nicht einmal bedankt hatten wir uns für die gute Fahrt.“ „Stimmt“, sagte jetzt auch Ruth, „vielleicht würde er fahren, wenn wir lieber wären zu ihm.“ Mieze wollte nicht recht daran glauben, aber die Kinder waren ihrer Sache sicher. Wieder und wieder streichelten sie den Laubfrosch, und dann stiegen sie ein. Mieze wollte den Kindern beweisen, dass sie sich getäuscht hatten, darum setzte sich sich noch einmal ans Steuer. „Jetzt los“, flüsterte Hutzli aus seinem Wurzelhaus, „dann merken sie, dass es dich gibt.“ Der Autognom hörte diese Worte. Er machte seine Sache gut. Als Mieze wieder ihr Glück versuchte, fuhr der Laubfrosch gleich los. „Er hat ein Herz“, sagte Ruth, „Peter hatte doch recht.“ „Ja, recht habe ich“, rief Peter, „aber sein Herz ist nicht wie bei den Menschen und Tieren. Es ist ein Männlein, das wohnt im Motor und will, dass wir lieb sind zu ihm.“ „Und nicht immer herumrasen“, fuhr Ruth fort, „es will auf ein Ziel zufahren und sich dort mit uns freuen.“

Der Autognom musste tüchtig arbeiten, es war Nacht geworden und der Heimweg war noch weit, aber er arbeitete gern, weil Hutzli die Gedanken der Menschenkinder zu ihm hingelenkt hatte. Daheim machten sich die Eltern Sorgen. Erleichtert atmeten sie auf, als das grüne Auto endlich vor ihrem Haus stand.

„Wie gut, dass ihr da seid“, rief ihnen die Mutter entgegen und der Vater fragte, ob der Laubfrosch schon stehen geblieben sei. Er lachte, als die Kinder ihr Abenteuer erzählten. An den Autognom konnte er nicht glauben, „das müsst ihr mir erst beweisen“, meinte er; „wenn die grüne Büchse länger fährt als drei Jahre, muss es so etwas wunderbares wie euren Autognom geben.“

Drei Jahre waren vergangen. Immer noch fuhr Mieze aus mit ihrem Laubfrosch. Sie sprach ihm oft gut zu, und er benahm sich nie mehr wie ein störrischer Esel. Wenn sie zum Waldplatz fuhr, wollten die Kinder sie begleiten. Es wurde zwar enger im Laubfrosch, denn beide waren größer geworden. Aber dafür konnten sie besser stillsitzen und brachten auch weniger aus dem Wald mit nach Hause. Wenn Hutzli das kleine grüne Auto kommen sah, freute er sich. Sobald die Menschen sich entfernten, schlich er zu seinem gefangenen Freund hin und erzählte ihm von der Schönheit der Natur. Der Autognom seufzte nicht mehr. Er versuchte immer wieder ein Wort herauszupressen, und hie und da meinte Hutzli, etwas zu verstehen. Langsam wurden die undeutlichen Laute wie Worte. Das erzählte Hutzli der kleinen Elfe. „Ich glaube, er findet wieder etwas von der verlorenen Sprachen, und ein wenig freier scheint er sich auch zu fühlen. Wie gut, dass du einmal in seine Traurigkeit geschlüpft bist und dass die Menschen jetzt lieb sind zu ihm und etwas ahnen von ihm“. „Kann er ihm entfliehen, dem Riesen der Kälte und der Finsternis?“, fragte die kleine Elfe. „Das ist noch ein langer Weg“, sagte Hutzli, „aber die Ahnungen der Menschen, vor allem der Kinder, sind wie erste Schritte darauf. Die Ahnungen müssen Erkenntniswerden, und alle Erkenntnis ist werdende Liebe. Nur die Liebe der Menschen, die weise geworden sind, kann die Dunkelheit des Riesen der Kälte und der Finsternis erhellen und erwärmen und die Erde vor der Erstarrung bewahren. Von den Menschen muss Licht ausgehen wie von unseren kleinen Lampen, die in den tiefen Schächten leuchten. Je mehr die Menschen wissen von sichtbaren und unsichtbaren Wesen, von freien und gefangenen, die mit ihnen zusammen arbeiten,desto weniger kann der Riese der Kälte und der Finsternis uns allen schaden. Das Erkenntnislicht der Menschen und das Licht unserer Lampen werden ihn besiegen.“

(Ursula Burkhard, Der Laubfrosch. Entnommen dem Büchlein „Fizzlifax“, Werkgemeinschaft Kunst und Heilpädagogik Weißenseifen, 2. Auflage, 1990)